Fachkongress stellt fest: Ein wertvoller Bodenschatz mit Potenzial für die Chemie

Minister Garrelt Duin, Prof. Bernd Meyer und RWE-Power CEO Matthias Hartung bei Freiberg-Conference
Minister Garrelt Duin, Prof. Bernd Meyer und RWE-Power CEO Matthias Hartung bei Freiberg-Conference
Hambach Chor und Schützen aus Bedburg und Königshoven bei der Konferenz
Guido van den Berg MdL bei der International Freiberg-Conference
Guido van den Berg MdL spricht auf der Konferenz

Über 200 Fachleute aus Wissenschaft und Industrie diskutieren ab Sonntag in Köln über die Nutzung von Kohle in der Chemie. Ihr Forum ist die 8. Internationale Freiberg-Konferenz, die vom Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und vom Institut für chemische Kohleverarbeitung in Zabrze/Polen ausgerichtet wird. Sie ist eine der weltweit führenden Fachtagungen, die sich mit der nachhaltigen Bereitstellung von Energie-, Kraft- und Chemierohstoffen befassen.

„Kohle wird in aller Welt bisher vor allem zur Stromerzeugung genutzt. Doch sie hat großes Potenzial auch als Lieferant von Kohlenstoff für die chemische Industrie“, erläutert Prof. Dr. Bernd Meyer, Leiter des Freiberger Instituts für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen. „Wir werden in Köln über innovative Verfahren in der ganzen Wertschöpfungskette der Kohle sprechen – von der Gewinnung über die Umwandlung bis hin zur Nutzung in der Chemie.“

„Die Chemieindustrie ist auch in Zukunft auf Kohlenstoff angewiesen“, erklärt NRW- Wirtschaftsminister Garrelt Duin im Grußwort zu der Kölner Tagung, deren Schirmherr er ist. „Heute importieren die deutschen Unternehmen dafür Erdöl und Erdgas. Stattdessen heimische Braunkohle in Zwischenprodukte für chemische Verfahren umzuwandeln, könnte unsere Industrie unabhängiger von Weltmarktpreisen und geopolitischen Risiken machen“, so der Minister. Er spricht von einer „deutlichen Transformation“ der Rolle der deutschen Braunkohle. Bisher überwiegend zur Stromerzeugung eingesetzt, würde sie zu einer strategisch wichtigen Kohlenstoffquelle für die Chemie.

Im Land Nordrhein-Westfalen werden zurzeit rund 40 Prozent des Strombedarfs mit der Energie aus der rheinischen Braunkohle gedeckt. Die räumliche Nähe zu den Förderstätten und zum Chemiegürtel ist ein Grund dafür, warum die 8. Freiberg-Konferenz in Köln stattfindet: Exkursionen führen zur chemischen Industrie, aber auch in die Tagebaue und in das Innovationszentrum Kohle der RWE Power AG. Dort konvertieren Forscher des Unternehmens demnächst im Labormaßstab Braunkohle in flüssige und gasförmige Zwischenprodukte.

„Praktisch alles, was heute aus Erdöl hergestellt wird, kann auch aus Braunkohle erzeugt werden – zum Beispiel der Chemiegrundstoff Naphta für die Kunststoffproduktion, Diesel, Wachse, Schmiermittel, ja sogar Kosmetika“, betont RWE Power-Vorstandsvorsitzender Matthias Hartung. Der Energie- und Rohstoffbedarf der Welt steige. „Deshalb ist es wichtig zu prüfen, wie sich die kohlebasierten Erzeugnisse in etablierten industriellen Verfahren einsetzen lassen.“ Das habe Anfang 2015 auch die Enquete-Kommission des NRW-Landtags zur Zukunft der chemischen Industrie in ihrem Abschlussbericht deutlich gemacht. Wegen ihrer Wirtschaftlichkeit und mit innovativen Technologien könne die heimische Braunkohle mittel- und langfristig eine Alternative zu Öl und Gas sein.

Zahlreiche Konferenzbeiträge werden sich mit der Herstellung von künstlichem Erdgas oder Synthesegas aus Kohle befassen. Andere Fachleute berichten, welche Betriebserfahrungen sie mit Versuchsanlagen zur CO2-Abscheidung gemacht haben. Ein weiteres Thema ist die Weiterentwicklung des sogenannten Fischer-Tropsch-Verfahrens. Es wurde schon in den 20er Jahren im Rheinland erfunden und in Wesseling südlich von Köln angewendet, um Kohle zu
verflüssigen und Kerosin herzustellen.

Das Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen in Freiberg (Sachsen) erforscht seit über 90 Jahren, wie Energierohstoffe gewonnen und effizient und nachhaltig genutzt werden können und ist führendes Zentrum für Braunkohleforschung in Europa. Der Mitorganisator, das Institut für Chemische Kohleverarbeitung in Zabrze/Polen bearbeitet Strategien zur Dekarbonisierung der polnischen Energiewirtschaft und ist mittlerweile die führende Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Steinkohlevergasung in Europa.

Lesen Sie hier den Bericht: "Potenzial der Braunkohle – Konferenz über Gewinnung von Rohstoffen für die Chemie" von Manfred Funken in der Kölnischen Rundschau vom 14.06.2016:

"Die Verbrennung der Braunkohle zur Erzeugung von Strom ist nicht mehr die modernste Idee. Viele Experten sehen aber ein Potenzial in der stofflichen Nutzung der Braunkohle, und einige NRW-Landespolitiker forcieren die Idee. Zurzeit findet im Pullman-Hotel in Köln die Internationale Freiberg-Konferenz statt, die sich noch bis einschließlich Mittwoch mit den Möglichkeiten befasst, Rohstoffe für die Chemie aus Braunkohle zu gewinnen.

In einer Pressekonferenz gaben am Montag NRW-Wirtschafts- und Energieminister Garrelt Duin, Bernd Meyer, Institutsdirektor der Bergakademie Freiberg, und RWE-Power-Vorstandsvorsitzender Matthias Hartung einen Überblick über den Stand von Wissenschaft und Forschung sowie einen Ausblick auf die Zukunft. Die Bergakademie Freiberg ist in Deutschland führend auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung zur Nutzung der Braunkohle als Chemierohstoff. Durch die Vergasung der Kohle entsteht Synthesegas als Grundstoff für die Kunststoffherstellung. Auch Kraftstoffe ließen sich aus der Braunkohle herstellen.

Nordrhein-Westfalen sei von je her Industrieland und das solle so bleiben, betonte Duin. Insofern bestehe ein reges Interesse daran, bei der Erschließung neuer Wirtschaftsfelder für die Braunkohle ein führender Standort zu werden. Chancen dafür sehe er, wenn Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht und das nötige Wissen erworben werde und nicht zuletzt die Umsetzung auch wirtschaftlich sei. Meyer sieht in der stofflichen Nutzung der Braunkohle ein förderungswürdiges Arbeitsfeld. Bei Politikern in Bund und Land müsse man dafür werben, dass sie ein Förderschwerpunkt werde. Bisher gibt es in bescheidenem Umfang Forschungsgelder für Versuchsanlagen, wie sie RWE Power am Kraftwerk Niederaußem betreibt. Angemessene wirtschaftliche Bedingungen vorausgesetzt, so Meyer, könne man mit rund 50 Millionen Tonnen Rohbraunkohle pro Jahr den gesamten Erdölbedarf zur Kunststoffherstellung in Deutschland abdecken.

Vorausgesetzt, es ist wirtschaftlich. "Die stoffliche Nutzung der Braunkohle ist eine Option, die wir im Auge behalten und weiterentwickeln wollen", sagte Hartung. "Heute eine Prognose abzugeben, ob sich die Nutzung jemals wirtschaftlich darstellen lässt, käme einem Blick in die Glaskugel gleich." Bei einem historisch niedrigen Ölpreis sei an eine Nutzung der Braunkohle als Chemierohstoff nicht zu denken. Allerdings könnten sich im Zuge der Energiewende die Dinge grundlegend ändern. "Ab einem Preis von 80 Dollar je Barrel Rohöl können wir anfangen, darüber nachzudenken." Am Montag lag der Preis je Barrel knapp unter 50 Dollar.

Dennoch, so der Bedburger SPD-Landtagsabgeordnete Guido van den Berg, der im Rahmen der Konferenz einen Vortrag hielt, müsse man die Überlegung weiter verfolgen. "Die Frage, ob man mit Braunkohle intelligentere Dinge machen kann, als nur Wasser warm zu machen oder eine Turbine anzutreiben, ist angesichts der in Deutschland beschlossenen Energiewende aktueller denn je."

Van den Berg verwies in seinem Vortrag noch einmal auf die vom Landtag eingesetzte Enquetekommission, die sich zwei Jahre lang mit neuen Nutzungsmöglichkeiten für die Braunkohle beschäftigt hat, Sie sieht er Chancen in der Kunststoffherstellung, weniger in der Kraftstoffproduktion."

Lesen Sie hier den Kommentar: "Verlockend" von Manfred Funken zur Zukunft der Braunkohle in der Kölnischen Rundschau vom 14.06.2016:

"Der Gedanke, dass die Stromversorgung irgendwann auch ohne die Braunkohlekraftwerke des rheinischen Reviers gesichert werden kann, wird von RWE vorerst noch zurückgewiesen. Dennoch nistet er sich mehr und mehr in den Köpfen ein. Der Markt zeigt zudem, in welche Richtung es geht: Das Geschäft mit der Braunkohle wird wirtschaftlich immer schwieriger.

Da sie aber ein wertvoller Rohstoff ist und viele Arbeitsplätze in der Region von ihr abhängig sind, ist der Versuch, neue Geschäftsfelder zu erschließen, nachvollziehbar. Und der Wunsch, unabhängiger von Gas und Erdölimporten zu werden, macht den Gedanken noch verlockender – zumindest für Politiker. Im Landtag haben sie viel Zeit damit verbracht, die Chancen der Braunkohle als Rohstoff für die Chemie auszuloten. RWE behält die Option zwar im Blick, ist aber verständlicherweise nicht bereit, in Anlagen zu investieren, die auf absehbare Zeit nicht wirtschaftlich sind.
Und selbst wenn die Braunkohle als Rohstoff für die Chemie zu vermarkten wäre, darf man nicht erwarten, dass damit auch nur annähernd kompensiert werden könnte, was durch das Ende der Braunkohlenverstromung an Wertschöpfung verloren ginge. Die stoffliche Nutzung kann allenfalls ein kleiner Beitrag zum Strukturwandel sein, sie ist nicht die Rettung des Reviers."