15.000 Bergleute und Kraftwerker vor dem Kanzleramt

Spitze des Demonstrationszuges der IGBCE in Berlin
Gemeinsam mit Gewerkschafts-, Landesregierungs- und Unternehmens-Vertretern führte Guido van den Berg MdL die Spitze des Demonstrationszuges an
Martin Dulig, Guido van den Berg, Rainer Thiel, Michael Groschek und Stefan Kämmerling bei der IGBCE-Demo in Berlin
Sachsen-Minister Martin Dulig MdL, Guido van den Berg MdL, Rainer Thiel MdL, NRW-Minister Michael Groschek und Stefan Kämmerling auf der IGBCE-Demo in Berlin
Guido van den Berg auf der IGBCE Demo in Berlin
Guido van den Berg MdL auf der IGBCE-Demo in Berlin

Um 4.30 Uhr startetetn die Busse ab dem Kraftwerk Niederaussem nach Berlin zur Grossdemonstration der IGBCE. Mit an Bord war der Landtagsabgeordnete Guido van den Berg. Gemeinsam mit seinen Landtagskollegen Rainer Thiel, Stefan Kämmerling und Peter Münstermann unterstützte er den Protest. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsminster und stellvertenden Ministerpräsidenten von Sachsen Martin Dulig, dem Wirtschaftsminister von Brandenburg Alberecht Gerber und dem NRW-Minister Michael Groschek führten sie den Protestzug durch das Berliner Regierungsviertel an.

Vor 15.000 Demonstranten aus den Braunkohle-Revieren hat der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis am Samstag die Bundesregierung aufgefordert, auf eine einseitige Zusatzbelastung der Kohle-Verstromung zu verzichten. „Wir erwarten, dass alles vom Tisch geräumt wird, was das Aus der Braunkohleförderung und Braunkohleverstromung in Deutschland bedeuten würde", erklärte Vassiliadis. Zugleich forderte der IG BCE-Vorsitzende auf der Kundgebung vor dem Kanzleramt, dass die Versprechen der Kanzlerin wie des Wirtschaftsministers eingehalten werden. Sowohl Angela Merkel als auch Sigmar Gabriel hatten wiederholt betont, die Braunkohle werde noch lange Jahre benötigt und einen Strukturbruch mit drastischem Arbeitsplatzabbau in den Revieren werde es nicht geben. „Wir erwarten, dass wir uns auf das Wort der Kanzlerin und des Wirtschaftsministers verlassen können“, so Vassiliadis.

Lesen Sie hier den Bericht: "Kampf um Klimaziele und Arbeitsplätze geht in die finale Phase" in der Aachener Zeitung vom 24.04.2015:

"Es mutet an wie das letzte große Gefecht, wenn am Samstag die Gewerkschaften IGBCE und Verdi mit Tausenden vor das Bundeskanzleramt ziehen. Dort residiert die, auf die es ankommt, die sich aber in der Debatte, wie viel Braunkohle in Deutschland zukünftig zur Stromgewinnung genutzt wird, noch nicht öffentlich festgelegt hat: Angela Merkel.

Eines steht fest: Es muss weniger Braunkohle werden, wenn die Regierung ihre Klimaziele schaffen will. Denn das Regierungsziel lautet: 40 Prozent weniger klimaschädliche CO²-Emissionen bis 2020 als noch 1990. Und 80 Prozent weniger CO² bis 2050. Da die bisherigen Maßnahmen für das 40-Prozent-Ziel nicht ausreichen werden, hatte das Bundeskabinett im Dezember unter anderem beschlossen, dass bei den fossilen Kraftwerken zusätzlich 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart werden müssen. Das Wirtschaftsministerium erarbeitete das Konzept einer Abgabe für über 20 Jahre alte Kohlekraftwerke, wenn sie eine bestimmte CO²-Ausstoßgrenze überschreiten. Die Abgabe soll dafür sorgen, dass weniger Strom in den schmutzigsten Kraftwerken produziert wird und klimafreundlicheren Gaskraftwerke ihren Anteil steigern.

Sturm der Entrüstung

Als die Pläne Ende März bekanntwurden, brauste ein Sturm der Entrüstung durchs Rheinische Revier. Der RWE-Konzern in Essen geht davon aus, dass mehrere Kraftwerkstandorte geschlossen werden müssen. „Allein in der deutschen Braunkohlenindustrie wären rund 30.000 Stellen bedroht“, sagt Matthias Hartung, der bei RWE für die Braunkohle-Sparte zuständig ist.

Eine am Freitag bekannt gewordene Studie des Umweltbundesamtes (UBA) widerspricht: Sie geht davon aus, dass lediglich rund 4700 Arbeitsplätze im Braunkohlesektor verloren gehen könnten. „Beschäftigungsverluste von bis zu 100.000 Arbeitsplätzen in der Kohlewirtschaft entbehren jeder Grundlage“, heißt es in der Studie. Eschweilers Bürgermeister Rudi Bertram (SPD), der bei der Kundgebung in Berlin am Samstag sprechen wird, warnt vor einem „sozialen Blackout“ in der Region. Wenn das Kraftwerk Weisweiler schließe, seien sofort 1500 Arbeitsplätze unmittelbar betroffen. „Kann die Zahl 4700 bundesweit dann noch stimmen?“, fragt er.

IHK: 17 von 20 Blöcken bedroht

Die Industrie- und Handelskammer Aachen rechnet damit, dass im Rheinischen Braunkohlerevier 17 von 20 Kraftwerksblöcke mit einer Leistung von 6200 Megawatt nicht mehr wirtschaftlich seien. Zudem werde der Strompreis deutlich steigen. Die Energieindustrie teilt die Meinung. In wenigen Jahren könne der Strombedarf Deutschlands nur noch durch Zukäufe in Europa gedeckt werden, heißt es dort. Zu diesem Ergebnis kommt auch die europäische Netzagentur ENTSO-E in ihrer Prognose für 2025. Die Erwartung berücksichtigt allerdings noch nicht die aktuellen Pläne.

In die aktuelle Entwicklung mischt sich auch Kritik an den Energiekonzern RWE, zu lange auf die Braunkohleverstromung gesetzt zu haben. Auch in Essen hat man inzwischen erkannt, dass ein Umdenken erforderlich ist. Im Enquete-Bericht des Landes NRW zur Zukunft der Chemiewirtschaft, der am Montag vorgestellt wird und unserer Zeitung in Teilen schon vorliegt, kommt auch die stoffliche Nutzung von Braunkohle zur Sprache. So plant RWE den Aufbau eines bundesweiten Kompetenznetzwerks zur stofflichen Nutzung der Braunkohle zur Herstellung von Grundstoffen für die Industrie. Der Clou, der letztlich auch zu einem einstimmigen Enquete-Bericht führte: Klimaschädliches CO² tritt bei den Prozessen nicht in die Atmosphäre.

Die Pläne im Land NRW können auch für die RWTH Aachen und das Forschungszentrum Jülich interessant werden. Der Enquete-Bericht schlägt vor, einen Lehrstuhl für Kohlechemie im Land einzurichten. Zudem soll eine Pilotanlage zur stofflichen Braunkohlenutzung gefördert werden. „Dann hätte die Braunkohle im Rheinischen Revier wieder eine Chance über 2040 hinaus“, sagt der Landtagsabgeordnete Guido van den Berg (SPD). RWE selbst plant eine Pilotanlage für das Jahr 2025."