


Nicht ganz drei Monate sind vergangen, seitdem der Kreisvorsitzende der SPD, Guido van den Berg auch für Pulheim in den Landtag eingezogen ist. Wir haben diesen Zeitpunkt genutzt, um mit Guido van den Berg ins Gespräch zu kommen und ihm Fragen zu stellen, die für die Leser des Pulheimer Anzeigers interessant sein können. Um welche Fragen es sich handelt, und was Guido van den Berg darauf antwortete, kann man in unserem neuen Interview lesen.
1. Guten Tag Herr Van den Berg, Sie sind unser neuer Landtagsabgeordneter. Wie haben Sie sich bislang im Landtag eingelebt? Sie sind / (waren) in Elternzeit. Wie lässt sich das Elternleben mit der politischen Arbeit vereinbaren?
Es ging direkt sehr intensiv los, da Hannelore Kraft mich bei den Koalitionsgesprächen mit den Grünen für das Verhandlungsteam zum Bereich "Wirtschaft, Energie und Landesplanung" berufen hatte. Manche Medien nannten uns sogar die "Todesgruppe" – aber wir sind doch sehr lebendig geblieben und haben ein gemeinsames und sehr tragfähiges Regierungsprogramm ausverhandelt. Selber Verantwortung in diesen langen Verhandlungsrunden zu tragen, das war für mich eine neue Erfahrung. Zu Ihrer Frage zur Elternzeit: Ich bin sehr glücklich, dass ich trotz Wahlkampf meine Elternzeit ernst genommen habe. Das hieß: An festgelegten Tagen war ich nur Papa und kein Politiker, damit meine Frau wieder beruhigt in den Beruf einsteigen konnte. Insgesamt hat das gut geklappt und da, wo es wirklich eng wurde, sind noch Oma und Opa eingesprungen, wofür ich auch sehr dankbar bin. Von vielen Bürgerinnen und Bürgern habe ich gehört, dass sie es gut fanden, dass ich die Prioritäten so gesetzt habe. Politik ist sicher wichtig – aber eben doch nicht alles. Und allen jungen Vätern will ich absolut empfehlen, die Möglichkeit der Elternzeit zu nutzen. Diese schöne Zeit gibt einem keiner mehr wieder.
2. Welche sachlichen Ziele verfolgen Sie in absehbarer Zeit – welche sind die für Sie persönlich wichtigsten Ziele, die die Landesregierung in der aktuellen Legislaturperiode angehen wird?
Trotz aller Haushaltskonsolidierung wird es darauf ankommen, dass wir nicht an den Zukunftschancen unseres Landes sparen. Wir müssen daher in Kinder, in Bildung und in Kommunen investieren. Der in der letzten Wahlperiode gemeinsam mit der CDU ausgehandelte Schulkonsens gilt. Wir wollen beste Bildung für alle und setzten auf Ganztagsschulen und längeres gemeinsames Lernen. Wir wollen es nach und nach auch erreichen, dass Bildung komplett gebührenfrei wird. Bei den Studiengebühren haben wir begonnen. Ein Kindergartenjahr ist ebenfalls bereits frei. Wir wollen an dem Ziel festhalten, Familien weiter zu entlasten. Eine gewaltige Aufgabe der kommenden Jahre wird auch das Thema Inklusion werden. Wir wollen, dass das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderung endlich Realität werden kann. Deshalb haben wir uns auch für die kommenden Jahre entschlossen, die Lehrinnen- und Lehrerstellen, die durch den demografischen Wandel wegfallen könnten, im Schulsystem zu belassen, um kleine Lerngruppen und mehr Qualität zu ermöglichen.
3. Thema Verschuldung: Welche Anstrengungen unternehmen Sie, um den Haushalt zu entlasten. In welchen Bereichen kann man nach ihrer Ansicht am sinnvollsten sparen?
Es gilt, bis 2020 die Neuverschuldung auf null zu bringen. Hierzu wollen wir bis 2017 wollen strukturell eine Milliarde im Haushalt einsparen. Mir ist wichtig, dass dies aber nicht wie vor 2010 zulasten unserer Städte und Gemeinden passiert. Die Kommunen, die sich ja nicht wehren können, dürfen nicht die Dummen sein. Konkret werden wir im Land Behördenstrukturen verschlanken und untersuchen, wo Landesbetriebe zusammengelegt werden können, ohne dass Leistung verloren geht. Wir werden alle NRW-Förderprogramme durchleuchten. Überall da wo es möglich ist, wollen wir direkte Förderungen auf Darlehen umstellen. Das hat den Vorteil, dass wieder Geld an das Land zurückfließt und wir so rund 300 Millionen dauerhaft einsparen können. Es geht aber auch um Einnahmeverbesserungen: Wir haben uns so z.B. entschlossen eine Kiesförderabgabe zu schaffen. Und wir wollen eine Rendite durch unsere Präventionspolitik erwirtschaften. Wenn wir beispielsweise den Übergang von der Schule in den Beruf verbessern und die Warteschleifen abbauen, wird dies auch Stellen im Berufsschulsystem entbehrlich machen. Wenn wir mit Programmen wie "Kurve kriegen" jugendliche Intensivtäter von einer kriminellen Laufbahn abhalten können, vermeiden wir kostspielige Haftplätze. Das ist in groben Zügen unser Konzept, um dauerhaft eine Milliarde im Landeshaushalt zu sparen.
4. Welche persönlichen Ziele streben Sie an? Werden wir irgendwann evtl. einen Minister van den Berg erleben?
Gute Arbeit für den Wahlkreis und die Menschen in Pulheim leisten, das habe ich mir vorgenommen. Und ich denke, dass nicht persönliche Karriereplanung das ist, was meine Wählerinnen und Wähler von mir erwarten sondern sich für unsere Heimat ins Zeug legen. Und genau das will ich machen. Meine Wählerinnen und Wähler – aber vielleicht sogar einige, die mich nicht gewählt haben – sollen nach 5 Jahren sagen, der hat sich für uns hier eingesetzt.
5. Wie möchten Sie den Rhein-Erft-Kreis im Landtag stärken? Was können Sie im Landtag auch für Pulheim erreichen?
Der Landtag hat mich in den Innen- und den Wirtschaftsausschuss entsendet. Beides sind wichtige Themenfelder gerade auch für unsere Region. Mit "Kurve kriegen" haben wir hier ein Modellprojekt für jugendliche Intensivstraftäter gestartet, das im Innenausschuss begleitet wird. Der Wirtschaftsausschuss ist für die Innovationsregion Rheinisches Revier zuständig, mit der wir den Strukturwandel hier im Revier voran bringen wollen. Mir ist es wichtig, dass der Einsatz für unsere Heimat wichtiger ist, als parteipolitische Grenzen. Ich habe so zum Beispiel meinen ersten, sehr angenehmen, Antrittsbesuch beim Pulheimer Bürgermeister Frank Keppeler gemacht, um deutlich zu machen, dass ich für alle als gewählter Vertreter des Wahlkreises ansprechbar sein will.
6. Thema Grundeinkommen: Sie fordern als Vorsitzender der Rhein-Erft-SPD ein Grundeinkommen. Wie genau sollte dieses aussehen? Sehen Sie eine Missbrauchsgefahr durch zu niedrig angesetze Grundeinkommen? Wird das Grundeinkommen überhaupt irgendwann kommen?
Unsere Kreispartei hat sich sehr intensiv mit dem Thema befasst. Seit einigen Jahren arbeitet eine Arbeitsgruppe an einem konkreten Modell und wir haben auf mehreren Kreisparteitagen diskutiert und erste Beschlüsse gefasst. Unser Ziel ist ein Grundeinkommen, dass die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben für alle Menschen sicherstellt. Es darf also nicht zu niedrig angesetzt sein. Das Grundeinkommen soll die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer stärken, da man mit einem Grundeinkommen "im Rücken" auch schlecht bezahlte Jobs ablehnen kann. Wir wollen mit einem Grundeinkommen aber auch soziales Engagement unterstützen, da aus unserer Sicht Pflege von Angehörigen und Erziehung von Kindern auch Arbeit ist und eben nicht nur klassische Erwerbsarbeit. Und wir wollen unser Sozialsystem wieder verständlicher machen: Derzeit werden 133 Sozialleistungen von 36 Behörden verwaltet. Ein Grundeinkommen würde Bürokratie abbauen und unser soziales Netz wieder verständlicher machen. In der Bundes-SPD gibt es noch große Vorbehalte gegen unsere Ideen, aber wir sind da hartnäckig und guten Mutes, da auch andere Kreisverbände mit der Debatte jetzt begonnen haben.
7. Die Verkehrssituation in und um den Rhein-Erft-Kreis weist zahlreiche kritische Stellen auf. Wie möchten Sie die Situation beruhigen?
Wir sind eine Wachstumsregion, in der weiter mehr Verkehr entsteht. Ich will mich weiter für wichtige Lückenschlüsse – z.B. bei der Ortsumgehung Sinnersdorf – einsetzen. Klar ist aber auch, dass wir den Erhalt unserer Infrastruktur im Auge haben müssen. Gerade viele Brücken sind in einem bedenklichen Zustand. Bei aller Freude an Neubauten müssen wir aufpassen, dass uns die bestehende Infrastruktur nicht verrottet. Und wir müssen die Bahn weiter stärken. Eines meiner ersten Gespräche als Abgeordneter habe ich mit der Deutschen Bahn in NRW geführt, damit wir in den kommenden Jahren die Bahnlinien im nördlichen Rhein-Erft-Kreis auf S-Bahn-Standard bringen.
8. Zurück zu Ihrem neuen „Job“ als Landtagsabgeordneter. Was haben Sie zuerst gemacht, als Sie als frisch gebackener Landtagsabgeordneter den Düsseldorfer Landtag betreten haben. Welche schönen Aspekte beinhaltet Ihre neue Aufgabe im Allgemeinen?
Der erste Tag im Landtag ist schon etwas besonders. Es begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Düsseldorfer Innenstadt und dann ging es zur ersten Plenarsitzung. Auch wenn mir die Räume durch meine vorherige Tätigkeit für die Landesregierung bekannt waren, so erlebt man das neue Arbeitsumfeld an diesem Tag doch sehr bewusst. Man ist schon stolz, hier arbeiten zu dürfen, man spürt die Verantwortung, die man für den Wahlkreis übernommen hat, und man hat viele, viele ganz praktische Fragen, wie es einem bei jedem neuen Arbeitsplatz ergeht. Sehr schön war für mich, dass meine Frau meine Vereidigung von der Zuschauertribüne mitverfolgen konnte.
Riesig gefreut hat mich auch, dass eine ganze Anzahl von Bürgern, mich direkt in den ersten Tagen schon mit ihren Anliegen und Problemen angeschrieben haben. In einem Fall habe ich bereits sehr konkret helfen können, in dem ich die Betroffenen selber bei Behördengängen begleitet habe und eine Lösung gefunden wurde. Da ist man dann sehr glücklich und macht sich bewusst, dass die Menschen hier in der Region der eigene Arbeitgeber ist, für den man arbeitet.
9. Die Piratenpartei ist neu in den Landtag eingezogen. Wie schätzen Sie die Arbeit der NRW-Piraten ein. Wird die SPD mit den Neulingen zusammenarbeiten? Zeichnet sich eine Tendenz ab?
In einer ersten Sitzung des Landtages war ich ziemlich geschockt, da ein Pirat in seiner ersten Rede zum Thema Landesbank verkündete, man könne doch einfach auch die örtliche Sparkassen vor Ort Pleite gehen lassen. Da fragte ich mich: Sind diese Seeräuber von allen guten Geistern verlassen? Mit einem anderen Pirat habe ich mich hingegen sehr gut bei einer Podiumsdiskussion in Duisburg verstanden. Bei Abstimmungen fällt auf, dass einige Piraten mit Rot-Grün und andere gleichzeitig mit Schwarz-Gelb stimmen. Ich habe bislang nicht das Gefühl, dass diese Partei ausreichend Klärung zu den inhaltlichen Positionen herbeigeführt hat.
10. Sie sind unseres Wissens ein Befürworter von BoAplus in Niederaußem. Wie gestaltet sich dadurch die Zusammenarbeit mit den Grünen? Müssten Sie folgerichtig nicht auch ein Herz für das nicht in Betrieb genommene Kraftwerk in Datteln haben?
Wir haben die Themen im Rahmen der Koalitionsverhandlungen intensiv mit den Grünen besprochen. Dabei waren wir uns einig, dass RWE Altanlagen mit hohem CO2-Ausstoß und schlechten Wirkungsgraden für die erstandenen effizienteren Neuanlagen abzuschalten hat. Wir wollen, dass die CO2- Emissionen weiter zurückgehen. Und unser gemeinsames Ziel ist der Umstieg auf Erneuerbare Energien. Hierbei wird die Braunkohle eine wichtige Brücke ins solare Zeitalter sein, da wir auch darauf achten müssen, dass die Strompreise für energieintensive Industrie in NRW aber auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht explodieren. Wir haben im Rheinischen Revier genehmigte Tagebaue bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Ich will, dass die hier geförderte Kohle in jeweils modernsten Kraftwerken zum Einsatz kommt und dass Altanlagen hierfür stillgelegt werden.
Ein ganz anderes Thema ist das Steinkohlekraftwerk in Datteln, das wegen gravierenden Mängeln im Planungsverfahren von den Gerichten gestoppt worden ist. Klar ist, dass die Landesregierung keine Kraftwerke baut oder abreißt. Als Land haben wir uns aber im Koalitionsvertrag auf eine "Plattform Kraftwerke" als Gesprächsforum verständigt. Hier kann man ausloten, ob es in der Sache noch Kompromissmöglichkeiten gibt. Die Stadt Datteln hat nun ein neues Bauleitplanverfahren begonnen, um die fast fertigen Investition von einer Milliarde Euro noch fertigzustellen. Ob dies gerichtsfest geschehen kann, wird sich zeigen.
11. Sehen Sie mögliche Stolpersteine für die rot-grüne Koalition im Landtag? Wenn ja, welche, und wie möchten Sie diese umschiffen, um künftig ein ähnliches Ergebnis einzufahren wie bei der vergangenen Landtagswahl?
Stolpersteine sehe ich nicht. Wir haben sehr intensiv verhandelt und keine Formelkompromisse gemacht. Es ist ein guter Koalitionsvertrag in NRW entstanden, mit dem man verlässlich in den kommenden fünf Jahren Politik gestalten kann. Wir haben hier glücklicherweise nicht den Fehler von Schwarz-Gelb im Bund gemacht, wo 2009 einen nicht tragfähigen Vertrag gemacht haben und sich bekanntlich seither wie die Kesselflicker streiten.
12. Thema Europawahlen 2014 – welche Tendenzen erwarten Sie derzeit?
2014 wird von der Europa- und von der Bundestagswahl geprägt sein. Ich erhoffe mir sehr, dass die Wahlbeteiligung insbesondere bei der Europawahl steigt. Wir spüren immer mehr, dass das Europäische Parlament gestärkt werden muss. Viele Menschen kritisieren zu Recht einen Kapitalismus, bei dem einige Wenige gewaltige Gewinne für sich verbuchen und gleichzeitig Verluste der Allgemeinheit aufbürden. Sie kritisieren zu Recht, dass einige Ratingagenturen mächtiger auftreten als gewählte Parlamente und Regierungen. Frau Bundeskanzlerin Merkel hat einmal erklärt wir bräuchten eine "marktkonforme Demokratie". Ich hoffe, dass 2014 eine Abstimmung darüber wird, dass wir endlich wieder einen demokratiekonformen Markt brauchen.
13. Europa wirkt derzeit an vielen Stellen instabil. Als übergeordnetes Framework auch für die Landespolitik gesehen, wird die Landespolitik an vielen Stellen von der Europapolitik beeinflusst. Sehen Sie hier Optimierungspotentiale und wenn ja, wie möchten Sie diese verwirklichen?
Die Dinge können und müssen immer verbessert werden, keine Frage! Zurzeit arbeiten wir auf Landesebene daran, mit der vom Land gegründeten Innovationsregion Rheinisches Revier europäische Fördermittel in unsere Region zu bekommen. Damit wollen wir den anstehenden Strukturwandel mit dem Auslaufen der Braunkohleförderung zu Mitte des Jahrhunderts abfedern. Europa unterstützt uns hier. Für mich bleibt auch in der augenblicklichen Finanzkrise Europa nicht das Problem sondern die Lösung. Wir müssen die ungezügelten Finanzmärkte mit ihren Spekulanten, die sogar gegen Staaten zocken, in den Griff bekommen. Ich will nicht, dass Geld die Welt regiert sondern, dass gewählte Parlamente und Regierungen Verantwortung tragen. Europa ist hierfür eine riesen Chance. Wahr ist aber auch, dass Europa scheitern kann. Wir sollten uns bewusst machen, dass damit aber mehr scheitert als nur eine Idee. Europa ist unsere Antwort auf einen Nationalismus gewesen, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zweimal in Weltkriegen geendet ist.
Das Interview führte für Sie: Michael Maack.