Wenn Wolfgang Müller in seinem Wohnzimmer sitzt, fühlt er sich zunehmend mulmig. Risse durchziehen die Wände, „sie werden immer größer, das ganze Haus ist in Bewegung“, hat er beobachtet. Doch anders als bei zahlreichen seiner Nachbarn kommt ein Gutachten von RWE Power zu dem Schluss, dass es sich beiden deutlich sichtbaren Rissen nicht um Bergschäden handelt. „Dabei war das Haus komplett ohne Risse, als wir es 1984 gekauft haben.“ Seit Jahren liegen Müller und das Unternehmen nun schon im Clinch. Jetzt will sich der 60-Jährige zur Wehr setzen.
Mittlerweile hat er die Unterstützung einer Anwältin sowie des Markscheiders und Sachverständigen für Bergschäden, Peter Immekus, eingeholt. „Viele Risse werden immer größer, andere sind neu“, hat der Ingenieur beobachtet. Er betont, dass – anders als RWE Power behauptet – Setzungsschäden zu beobachten seien. Zudem seien geologische und tektonische Störungen in dem Bereich von Bedburg bekannt. Rechtsanwältin Doris Vorloeper-Heinz wirft RWE Power vor, mit ihrem Gutachten „selektiv“ gearbeitet zu haben mit dem Ziel, „Bergschadensansprüche zu vereitlen“.
Aueböden
Unterdessen hat Müller ein eigenes Gutachten über den Boden an und unter seinem 1876 erbauten Haus durchführen lassen. Klar ist, dass im Bereich des Hauses an der Kölner Straße das Grundwasser wegen der nahen Tagebaue massiv abgesenkt wurde. Dies, so der Gutachter, sei in dem Fall nicht so schlimm, wenn es gleichmäßig geschieht. Vorloeper-Heinz betonte dagegen in einem Schreiben an RWE Power, dass unterhalb des Hauses humose Aueböden festgestellt worden sind. „Bei Grundwasserentzug reagieren sie mit ungleichmäßigen Setzungen an der Oberfläche.“ Der Grund: Wenn diesen Böden die Feuchtigkeit entzogen werde, würden sie sich nach und nach zersetzen. RWE Power habe dagegen erklärt, dass dort keine solchen Böden vorlägen. Auch bei RWE Power ist der Fall der Familie Müller bekannt. „Wir haben fundierte Untersuchungen durch ein akkreditiertes Fachbüro durchführen lassen“, erklärt Unternehmenssprecher Manfred Lang. Der Untergrund sei untersucht worden, die Schlussfolgerungen seien eindeutig. Sein Unternehmen bleibe dabei, dass es sich nicht um Bergschäden handelt.
Müller hat unterdessen sogar Befürchtungen, irgendwann nicht mehr in seinem Haus wohnen zu dürfen. Erst vor einigen Monaten hatte er die Bauaufsicht des Rhein-Erft-Kreises im Haus, weil die Standsicherheit seines Balkons nicht länger gewährleistet war. „Es gibt keine Hinweise, dass unsere bergbaulichen Maßnahmen zu den Schäden geführt haben“, hatte RWE Power damals betont. Müller musste den Balkon mit eigenen Mitteln sanieren, immerhin 8000 Euro wurden fällig. Hätte er das Geld nicht gehabt, hätte sein Haus in letzter Konsequenz geschlossen werden können. „Nicht jeder kann sich so etwas leisten“, kritisiert er.
Schlichtung
Diplom-Ingenieur Immekus ist jemand, der deshalb schon lange die Umkehr der Beweislast fordert. Denn derzeit müssen Hausbesitzer nachweisen, dass die Schäden an ihrem Haus durch den Tagebau kommen. Er fordert deshalb, dass RWE Power künftig nachweisen muss, eben nicht für die Schäden verantwortlich zu sein. Guido van den Berg, Vorsitzender der Kreis-SPD betont dazu, dass diese geforderte Umkehr Teil des rot-grünen Koalitionsvertrages sei. „Er ist auf Antrag unseres Kreisverbandes dort hineingeschrieben worden.“ Van den Berg erklärt, dass er noch in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden soll. RWE-Power-Sprecher Lang betont, dass Experten seines Hauses das neue, von Müller in Auftrag gegebene Gutachten prüfen würden. „Sollten dort neue Fakten für uns erkennbar werden, wird RWE sofort ein Gespräch mit Familie Müller suchen.“ Wolfgang Müller plant nun, die Schlichtungsstelle beim Regierungspräsidenten anzurufen. Dort werden sich dann neue Sachverständige mit seinem Fall beschäftigen. Auch eine Klage gegen RWE Power will er derzeit nicht ausschließen.
Kommentar von Markus Clemens am 11.10.2011 im Kölner-Stadt Anzeiger hierzu:
"Leute werden im Stich gelassen"
Von Markus Clemens, 10.10.11, 19:08h
Die Gallier um Asterix und Obelix hatten es seinerzeit vergleichsweise gut. Ihnen stand zwar eine riesige römische Armada gegenüber, dank ihres Zaubertranks war die etwas unterbelichtete Übermacht den wenigen Galliern aber dennoch nicht gewachsen. Der heutige Kampf Bergbaugeschädigter gegen das riesige Energie-Unternehmen RWE verläuft auf den ersten Blick unter ähnlichen Bedingungen. Doch es gibt einige kleine, aber wichtige Unterschiede. Denn die heutigen Gallier haben keinen Zaubertrank, deshalb sind sie dem Riesen fast schutzlos ausgeliefert. Und dieser Riese ist auch nicht mit den einfältigen Römern von einst zu vergleichen, denn er verfügt über den ausgewiesenen Sachverstandvon zahlreichen Ingenieuren und Juristen.
Angesichts dieses Kräfteungleichgewichtes kann nur ein neuer Zaubertrank für Gerechtigkeit sorgen, die Umkehr der Beweislast. Schließlich ist es ein Unding, dass Leute wie Wolfgang Müller von der Politik bislang weitgehend im Stich gelassen werden. Sie können sich nur dann gegen RWE zur Wehr setzen, wenn sie den erforderlichen Mut, einen langen Atem und das notwendige Geld zur Verfügung haben. Wenn dies fehlt, müssen sie für Schäden an ihrem Eigentum aufkommen, die sie nicht zu verantworten haben und die hervorgerufen wurden durch ein Unternehmen, das Milliarden mit der Braunkohle verdient. Hier hätte die Landespolitik schon lange aktiv werden müssen. Sie kann einem der größten Energieunternehmen Europas mit einem Umsatz von 53 Milliarden Euro im vergangenen Jahr diese Umkehr der Beweislast zumuten. Im Interesse der Menschen, die auch ohne Bergschäden schon genug unter dem Braunkohleabbau zu leiden haben. Hoffentlich wird Rot-Grün in Düsseldorf rasch aktiv.